Damo Chuan SV-Seminar in Berlin

ein Bericht von Thorre Schlaméus


Innerhalb des regulären KungFu-Trainings kommen Übungen zu Technik, Taktik und Strategie des Kampfes unter den Bedingungen ziviler Selbstverteidigung häufig zu kurz. Eine Möglichkeit, solche Defizite zumindest ansatzweise auszugleichen, besteht in der Durchführung von Seminaren, die sich ausschließlich mit dem Thema des SV-Kampfes befassen.

Ich arbeitete zu diesem Zweck ein Konzept aus, das die Vermittlung des relevanten Stoffes in insgesamt vier Seminar-Blöcken vorsieht. Am letzten Wochenende fand der erste Seminarblock statt. Dafür konnte die Unterstützung des Mu Shin Kai e.V. gewonnen werden, in dessen Dojo das Seminar durchgeführt wurde.




Dojo des Mu Shin Kai e.V.
in Berlin-Weißensee


Um den Teilnehmern des Seminars eine systematische Annäherung an das Thema des SV-Kampfes zu ermöglichen, wurden vor Beginn der praktischen Übungen theoretische Aspekte des Stoffes, wie z.B. die Bedeutung von nicht-kämpferischen SV-Strategien, strategische Grundelemente des Zwei-Kampfes usw. besprochen.




Besprechung zur Theorie des SV-Kampfes


Eine grundsätzliche Idee meines Übungskonzepts für diesen Seminarblock bestand darin, den Teilnehmern zunächst anhand praktischer Übungen bewußt zu machen, welche Rolle die richtige Kampfstellung sowie die korrekte Einschätzung von Distanz und Timing im Zweikampf spielen.

Zu diesem Zweck führten die Teilnehmer einige "Experimente" durch, die sich mit den unterschiedlichen Effekten hoher/ enger und tiefer/ weiter Stellungen befaßten. Es lag mir dabei am Herzen, die physische Erfahrung der jeweiligen Vor- und Nachteile solcher Stellungen zu vermitteln.

Zunächst bestand die Aufgabenstellung darin, den Partner aus dem Stand geradlinig nach hinten wegzuschieben. Wie erwartet begaben sich alle Übenden ohne Zögern in verhältnismäßig tiefe/ weite Stellungen.




Tiefe Stellungen bieten Stabilität


Die zweite Aufgabe forderte, einem schnellen, geradlinigem Angriff seitlich auszuweichen. Auch hier fanden die Teilnehmer schnell und intuitiv zu geeignteten Ausgangsstellungen, nämlich relativ hohen/ engen Positionen.

Anschließend wurden die Übenden angewiesen, sich aus hoher/ enger Stellung möglichst nicht wegschieben zu lassen. Im Gegensatz dazu übten sie in einem weiteren Experiment, einem Angriff aus tiefer/ weiter Stellung möglichst schnell ausweichen.

In beiden Fällen zeigte sich recht schnell, worin die speziellen Charakteristiken unterschiedlicher Stellungen liegen. Die Aspekte von Stabilität und Flexibilität konnten auf diese Weise anhand von Kontrastwahrnehmungen körperlich erfahrbar gemacht werden.




Hohe Stellungen bieten zwar Flexibilität, aber die Stabilität ist eingeschränkt -
es ist daher leicht, den Trainingspartner in hoher Stellung wegzuschieben


In einer weiteren Übung sollte verdeutlicht werden, wie sich die Chancen der erfolgreichen Abwehr bei Variation der Handhaltung verändern. Die Teilnehmer wurden angewiesen, einen einfachen, geraden Faustangriff aus einer Stellung mit gesenkten Händen heraus abzuwehren. Das wurde wiederholt aus einer Kampfstellung mit erhobenen Händen.




Abwehr-Übung aus einer Stellung erhobenen Händen


Im Verlauf der Übungen wurde meine Hoffnung erfüllt, daß diese Erfahrungen eine grundsätzliche taktische Notwendigkeit einsichtig machen: Steht Dir ein Kampf bevor, dann hebe Deine Hände.

Anschließend ging es um den Aspekt der Distanz. Die Teilnehmer übten sowohl das Einschätzen der eigenen maximalen Reichweite (Füße und Hände), als auch der Reichweite ihrer Trainingspartner. Dabei kam es zu manchen Überraschungen.




Thorre Schlaméus demonstriert eine Übung zum Erfassen
der eigenen maximalen Reichweite mit den Armen


Darüber hinaus wurden Übungen durchgeführt die verdeutlichen, wie die sichere Verteidigungs-Distanz in Abhängigkeit von der Schnelligkeit bzw. Vehemenz des Angriffs zu wählen ist.

Es folgten Übungen zum Thema des Timings. Das Trainingskonzept beabsichtigte hier, den Teilnehmern bewußt zu machen, weshalb der Erfolg einer Kampfhandlung vom Zeitpunkt ihrer Ausführung abhängig ist. Zu diesem Zweck sollten die Übenden den richtigen Moment für das Wegstoßen ihres Partners ermitteln, der eine kontinuierliche Gewichtsverlagerung vor und zurück ausführte.




Übung zum Timing - In welchem Moment der Gesamtbewegung
ist die Chance zum Wegstoßen des Partners ideal?


Die Übungen zum Timing wurden mit Experimenten fortgesetzt, bei denen der Trainingspartner einerseits während des Ausführung eines Ganzschrittes und andererseits während eines Gleitschrittes umgestoßen werden sollte. Diese Übung sollte herausstellen, welche Form der Schrittarbeit im Kampf allgemein als weniger anfällig für Destabilisierungsbemühungen des Gegners gilt.

Erst nach diesen vorbereitenden Übungen befaßte sich das Seminar mit den eigentlichen SV-Kampftechniken. Es ging mir in der Konzeption darum, einen möglichst weichen Übergang vom Training der reinen Bewegungsausführung hin zur realistischen Anwendung zu ermöglichen. Aus diesem Grunde entwickelte ich eine Vielzahl von Übungen, deren "Realitätsgrad" sich schrittweise der praktischen, kämpferischen Anwendung näherte.

Als erste kämpferische Technik wurde der Handballenstoß in der reinen Bewegungsform behandelt. Dabei wurden die Besonderheiten dieser Kampftechnik zunächst ausführlich erläutert und die Grundform der Bewegungsausführung als Einzelübung ohne Partner trainiert.




Übungen zur Ausführung des Handballenstoßes
in der technischen Grundform


Nachdem die Ausführung der Technik in der Grundform beherrscht wurde, konnten Teilaspekte wie der Abdruck vom Boden mit dem hinteren Fußballen praktisch untersucht werden. Dazu führten die Teilnehmer verschiedene Druckübungen gegen den Widerstand des Partners aus und versuchten, das Gefühl für eine geschlossene Kraftlinie - ausgehend vom hinteren Fußballen bis zur vorderen Hand - zu entwickeln.




Übungen zum Erfühlen einer geschlossenen Kraftlinie, die
vom Ballen des hinteren Fußes bis zur vorderen Hand verläuft


Die Ausführung des Handballenstoßes wurden anschließend gegen konkrete Ziele trainiert. Diese Übungen sollten das Gefühl für die korrekte Schlagdistanz entwickeln. Dabei dienten die durch Boxhandschuhe geschützten Fäuste der Trainingspartner als Ziele für die Schlagübungen.




Thorre Schlaméus demonstriert eine Übung zur
Ausführung des Handballenstoßes mit der Schlaghand


Die Teilnehmer trainierten die Ausführung des Handballenstoßes sowohl mit vorderen (Führungshand) als auch hinteren Hand (Schlaghand). In der Aufgabenstellung zu dieser Übung ging es darum, die bisher in "Trockenübungen" behandelten Aspekte des Handballenstoßes in eine schnelle, kraftvolle Schlagtechnik zu überführen. Im folgenden Schritt wurde der Schwierigkeitsgrad der Übung erhöht. Die Aufgabenstellung forderte nun zielgenaues Schlagen gegen ein bewegliches Ziel.




Übung: Ausführung des Handballenstoßes
gegen ein bewegliches Ziel


Die zweite im Seminar vermittelte Kampftechnik, der frontale Kniestoß, wurde zunächst ebenfalls in der Grundform ohne Partner geübt. Anschließend trainierten die Teilnehmer den Kniestoß gegen leichten Widerstand, in diesem Falle die durch Boxhandschuhe geschützten Fäuste des Partners. Das Ziel dieser Übungen bestand darin, Distanz und Zielgenauigkeit in der Ausführung des Kniestoßes zu schulen.




Übung zur Ausführung des frontalen Kniestoßes


Es ging mir in den weiteren Übungen darum, bei den Teilnehmern das Bewußtsein für die taktischen Aspekte des Kniestoßes zum Unterleib des Gegners in der Selbstverteidigung zu entwickeln. Dazu war es einerseits notwendig, die korrekte Höhe des Kniestoßes zu verdeutlichen, denn es sollte unbedingt verhindert werden, daß die Teilnehmer den Kniestoß zum Bauch des Gegners trainierten. Andererseits mußte auch die Bedeutung der maximalen Schlaghärte in der Ausführung dieser Kampftechnik herausgestellt werden.


  

Übungen zur Zielgenauigkeit des frontalen Kniestoßes zum Unterleib am Partner und Training maximaler Schlaghärte in der Ausführung am Makiwara


Die dritte im Seminar vermittelte Kampftechnik wurde von mir zunächst in ihrer taktischen Zielsetzung demonstriert. Das Beseitigen des gegnerischen Führungsarms dient in der DamoChuan-Selbstverteidigung sowohl offensiven als auch defensiven Zwecken.

Die Grundidee dieses Verfahrens besteht stets darin, den Gegner zu demobilisieren, insbesondere, was den Einsatz der (hinteren) Schlaghand betrifft. Das Beseitigen der gegnerischen Führungshand eröffnet die Möglichkeit, in die Halbdistanz einzubrechen und einen Handballenstoß zum Kopf zu führen. Andererseits kann die Technik auch als Parade gegen einen angreifenden Fauststoß eingesetzt werden.




Thorre Schlaméus demonstriert eine Technik zum
Beseitigen des gegnerischen Führungsarms


Die Teilnehmer übten die Ausführung dieser Technik zunächst einzeln ohne Partner und trainierten dann mit Partner im Stand am unbeweglichen Arm, um ein Gefühl für Distanz und Krafteinsatz zu entwickeln. Schließlich wurden die Techniken dynamisch in Vor- und Rückwärtsbewegung sowohl offensiv als auch defensiv trainiert.




Übung zum Beseitigen des gegnerischen Führungsarms


Am zweiten Tag des Seminars stand das Training der zuvor vermittelten Techniken unter kampfnahen Bedingungen auf dem Plan. Der erste Übungskomplex forderte von den Teilnehmern das Beseitigen/ Parieren des angreifenden gegnerischen Arms (sowohl Arm der Führungs- als auch der Schlaghand) in verschiedenen Auslagen und Bewegungsrichtungen.




Übung zur Beseitigung des gegnerischen angreifenden Arms


Auch der Handballenstoß wurde unter taktischen Gesichtspunkten trainiert. Die Teilnehmer übten den Stoß mit der vorderen und mit der hinteren Hand in verschiedenen Auslagen und im Vorwärts- sowie Rückwärtsgang. Diese Aufgabenstellung wurde anschließend erweitert: Der Armbeseitigung sollte nun der Handballenstoß folgen. Hier zeigte sich zum ersten Mal die beabsichtigte Verknüpfung der Einzeltechniken.




Thorre Schlaméus demonstriert das Beseitigen des
gegnerischen Führungsarms mit nachfolgendem Handballenstoß


Die Teilnehmer übten die Beseitigung des gegnerischen Arms und nachfolgenden Handballenstoß im Wechsel. Dabei dient der Handballenstoß als Auftaktbewegung für die Parade des Partners, der danach seinerseits mit dem Handballen stößt usw.




Angriff und Parade im Wechsel


Anschließend trainierten die Teilnehmer den frontalen Fußstoß zum Unterleib des Gegners in verschiedenen kampfnahen Übungen. Bei einer Variante des Trainings dieser Technik in Kreisformation muß der Übende im Zentrum des Kreises nacheinander herantretende Partner packen und mittels Kniestoß bekämpfen.




Übung des Kniestoßes mit schnell
wechselnden Partnern in Kreisformation


Darüber hinaus wurde die Technik in verschiedenen Auslagen und Bewegungsrichtungen trainiert. Zielsetzung dieses Trainings war das Entwickeln von gutem Distanzgefühl und Zielgenauigkeit. Außerdem übten die Teilnehmer den frontalen Kniestoß erneut gegen das Schlagpolster/ Makiwara und gegen den Partner nach Durchbrechen in die Nahdistanz.




Übung zum Durchbrechen in die Nahdistanz und Kniestoß


Anschließend ging es darum, die drei vermittelten Techniken in einer Kombination zusammenzufassen. Die Teilnehmer übten die Beseitigung des gegnerischen Arms, den Handballenstoß und nachfolgenden Kniestoß in flüssiger Ausführung als Kombination. Nach kurzem Üben der Kombination als "Trockentraining" ohne Partner wurde die Technik mit Partner praktiziert.




Demonstration eines Kniestoßes mit dem hinteren
Bein in Diagonalauslage nach Handballenstoß


Der Schwierigkeitsgrad wurde erneut schrittweise gesteigert. Zunächst übten die Teilnehmer die Kombination mit Partner im Stand, dann in Vor- und Rückwärtsbewegung sowie gegen Widerstand des Partners.




Übung zur Kombination der drei Einzeltechniken


Abschließend wurden die Teilnehmer zur kreativen Lösung von unterschiedlichen Kampfsituationen aufgefordert, in denen sich die zuvor trainierte Kombination sinnvoll einsetzen läßt.




Thorre Schlaméus demonstriert die Anwendung
der Kombination zur Abwehr eines Handgelenkgriffs


Diese Übung diente gleichzeitig als Ausblick auf die Inhalte des zweiten Seminarblocks, in dessen Verlauf die Anwendung der gezeigten Techniken in verschiedenen Kampfsituationen behandelt werden wird.

Weitere Fotos:

 








 

KFSB, 31.3.2007

 


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