Der Weg des Kriegers im Konzept der SanJian-Schule

von Thorre Schlaméus

Einleitung

Viele Kampfkunstschulen bemühen sich darum, eine Lebenskunst zu vermitteln, die allgemein als Weg des Kriegers bekannt ist. Dabei geht es oberflächlich betrachtet vor allem um das Training kriegerischer Disziplinen, wie beispielsweise Schwertkampf (Iaido, Kendo) oder Bogenschießen (Kyudo).

Die dem Weg des Kriegers zugrunde liegende Philosophie kann allgemein als eine Mixtur chan- bzw. zen-buddhistischer, daoistischer und konfuzianischer Vorstellungen beschrieben werden. Die sich in den verschiedenen Schulen zwischen Extrempositionen auffächernde Spannbreite unterschiedlicher Lehrmeinungen ist beträchtlich.

Sie reicht vom verklärten Bild des Kriegers als einem rein spirituellen Wesen bis hin zu der grotesken Auffassung, die im Krieger einen "Auftragskiller mit hoher moralischer Integrität" sehen möchte. Der weise, den Idealen des Zen-Buddhismus entsprechende Krieger ist allerdings vermutlich weder Heiliger noch Killer.




Schriftzeichen Shi, in der Bedeutung
"Gelehrter" und "Krieger"

Sein Training kriegerischer Fähigkeiten und Techniken dient einerseits als Katalysator der Kultivierung spezieller kriegerischer Tugenden, wie Mut, Beharrlichkeit und Selbstbeherrschung. Andererseits eröffnet es ihm die Möglichkeit, Erfahrungen im Umgang mit der eigenen Psyche zu machen, die es erlauben innerlich zu wachsen, das heißt als Mensch in einem ganzheitlichen Sinne zu reifen.


Gedanken zum klassischen Ansatz des Kriegertrainings

Bei dem klassischen Zen-Kriegertraining findet häufig eine Konzentration auf spezielle traditionelle Übungen bzw. Techniken, wie beispielsweise Bogenschießen statt, die innerhalb der Ausbildung historischer Krieger vergangener Jahrhunderte gewiß nur Einzeldisziplinen darstellten.

Eine solche Verengung gilt gemäß der Vorstellungen des Chan- bzw Zen-Buddhismus als legitim, denn man sieht hier die entschlossene Hinwendung zu einer einzigen Disziplin als hinreichend, um das geistige Tor ganz verschiedener grundsätzlicher Erkenntnisse zu öffnen.

Es ist vor diesem Hintergrund eigentlich irrelevant, ob ein Krieger Bogenschießen, Schwertkampf oder gar die Zubereitung von Tee übt. Entscheidend ist lediglich, mit welcher Haltung er übt. Übt er mit einer psychischen Disposition, die man in Zen-Kreisen als Geist des Kriegers bezeichnet, dann werden auch alle Erfahrungen, die er durch sein Training gewinnt, tiefere Selbst- und Welterkenntnis reifen lassen.

Da also die Verengung des Kriegertrainings auf eine einzige Disziplin allgemein als legitim gilt, bleibt zu fragen, wie es mit der Ausweitung des Kriegertrainings auf alle denkbaren Disziplinen aussieht, die für einen Krieger von Bedeutung sein könnten oder die wir zumindest mit dem Bild eines Kriegers assoziieren.

Sicher wird ein Krieger, der Jahre darauf verwendet, sich zu einem hervorragenden Schützen zu entwickeln, nicht viel Zeit und Energie für das Erlernen des Schwert- oder Messerkampfes erübrigen können. Die Krieger der meisten Schulen betreiben kriegerische Einzeldisziplinen nicht als Praktiken, sondern als Künste. Und um eine Kunst zu meistern, bedarf es im allgemeinen vieler Jahre, wenn nicht Jahrzehnte intensiven Trainings.

Im Gegensatz dazu könnte sich das Training einer Einzeldisziplin wie z.B. Messerkampf auf Basisverfahren beschränken, wenn man nicht von den Anforderungen einer Kunst ausginge, sondern von denen einer Praxis.

Mit anderen Worten: Um ein guter Schütze im kriegerischen Sinne zu werden, muß man eigentlich nicht Jahrzehnte seines Lebens täglich trainieren, denn es geht hier nicht darum, die Ergebnisse eines Hochleistungssportlers oder eines Kunstschützen zu erzielen. Das gleiche gilt für Disziplinen wie Laufen, Schwimmen oder Klettern. Diese Überlegungen standen am Anfang meiner Konzeption der SanJian-Kriegerschule.



  

Schriftzeichen San Jian,
in der Übersetzung "Drei Schwerter",
Kurzzeichen- und Langzeichenform


Im Laufe der vielen Jahre, in denen ich mich mit der Philosophie des Kriegerweges in all ihren verschiedenen Erscheinungsformen beschäftige, habe ich mich stets gefragt, ob der Preis für die Spezialisierung auf das Training kriegerischer Einzeldisziplinen nicht sehr hoch ist. Es scheint unbestritten, daß die quasi meditative Versenkung in eine Kunst zu besonderen geistigen und auch physischen Erfahrungen führen kann.

Aber wenn wir den wahren Kriegergeist als etwas begreifen wollen, das sich mit höchster Wirksamkeit auf das alltägliche, reale Leben ausrichtet und eben gerade dort optimal "funktionieren", unser Leben klarer, reicher, bewußter und kraftvoller machen soll, dann müssen wir doch fragen, wie wir einen Kriegergeist entwickeln, der vor allem der Vielseitigkeit des Lebens gerecht wird.

Könnte ein Kriegertraining, das unseren Geist für die Wirklichkeit des Lebens öffnen soll nicht auch eine Praxis sein, die sich an der Vielfalt menschlicher Optionen orientiert, statt auf Spezialisierung zu setzen? Ein solches Training würde dann nicht nur das Fechten lehren, sondern auch das Schießen, das Reiten und vieles andere mehr. Ich glaube, daß beide Wege Berechtigung besitzen. Welcher Variante man zuneigt, ist vermutlich eine Frage des persönlichen Geschmacks.

Eine weitere Frage, die mich bei der Konzeption der SanJian-Kriegerausbildung beschäftigt hat, drehte sich um die Beschränkung der meisten Schulen auf klassische Disziplinen. So trainiert man in vielen Schulen zwar eifrig das Schießen mit Bögen, käme aber wohl niemals auf den Gedanken, eine Feuerwaffe in die Hand zu nehmen.

Ich habe verschiedene Argumente für eine solche Methodik untersucht. Viele Praktiker des Kriegerweges meinen, daß eine Praxis, die seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden geübt wird, den Krieger mehr zu lehren hat, als neuere Disziplinen. Aus diesem Grunde - so die "orthodoxe" Auffassung - sollte man sich auf traditionelle Formen beschränken.

Ich halte dies allerdings für ein Versäumnis. Vor dem Hintergrund der Bemühung um eine möglichst vielfältige Ausbildung, die es dem Krieger ermöglicht, eine Vielzahl inspirierender Erfahrungen zu machen, ist zu prüfen, ob es nicht eher die Kombination klassischer und moderner Techniken ist, die dem modernen Menschen etwas wirklich Essentielles zu sagen hat.


Das Konzept der SanJian-Schule

Das Konzept der SanJian-Schule basiert auf der Vorstellung, daß sich durch abwechslungsreiches Training kriegerischer Disziplinen Erfahrungen und Erkenntnisse gewinnen lassen, die den persönlichen Bezug zum Leben klarer und bewußter machen. Die Ausbildung der SanJian-Schule umfaßt ein breites Spektrum unterschiedlicher Trainingsbereiche. Der Schüler wird permanent mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Er lernt, sich den unterschiedlichsten Situationen anzupassen.




 


Der Katalog der Basisdisziplinen umfaßt 35 Trainingsbereiche, wie beispielsweise Laufen, Schwimmen, Klettern, Schießen, Tauchen und Reiten. Jeder Trainingsbereich läßt sich in verschiedene Teildisziplinen gliedern. So werden im Bereich "Schießen" ganz unterschiedliche Waffen trainiert, wie z.B. Bogen, Armbrust, Blasrohr, Revolver, Pistole. (Hinweis: Insbesondere das Schießen mit Klein- und Großkaliberwaffen unterliegt strengen gesetzlichen Regelungen. Das Training darf nur auf regulären Schießanlagen unter professioneller Aufsicht durchgeführt werden.)

Außerdem findet auch in den Teildisziplinen eine ständige Variation der Trainingsaufgaben statt. Am Beispiel des Schießens entsprechen die Aufgaben "Präzisionsschießen" und "Schnellfeuer" zwei unterschiedlichen Trainingsformen. In der Gesamtheit soll diese Konzeption dazu führen, daß sich die Schüler in ihrem Lernprozeß nicht auf Spezialgebiete beschränken, sondern ein möglichst breites Fähigkeitsprofil entwickeln.

Eine Besonderheit der SanJian-Ausbildung stellen die sogenannten Missionen dar. Eine Mission ist eine Aufgabe, zu deren Bewältigung der Krieger verschiedene Fähigkeiten und Techniken kombinieren muß. Um eine Mission zu erfüllen, genügt es also nicht, nur schnell laufen oder gut schießen zu können.




Schriftzeichen Ren Wu,
in der Übersetzung "Mission"


Eine Mission kann nur erfolgreich abgeschlossen werden, wenn sich der Krieger ein umfangreiches und vor allem ausbalanciertes Fähigkeitsprofil erarbeitet hat. Während das Training der Einzeldisziplinen die notwendige Grundlage der Ausbildung darstellt, ist das Missionstraining als Herz der SanJian-Kriegerschule zu verstehen.

Das Ideal der SanJian-Schule ist der Krieger, dessen konsequentes Training ihn befähigt, sich in unübersichtlichen Situationen zurechtzufinden. Der SanJian-Krieger ist ein sowohl geistig als auch physisch ebenso flexibler wie starker Mensch, ein Mensch mit dem Talent zu improvisieren, mit der Fähigkeit den Kern der Dinge zu erfassen und entsprechend zu handeln.

Bei der Missionsschulung spielen insbesondere rasante Wechsel in den Belastungsformen eine Rolle. Es kann also sein, daß einer konditionellen Beanspruchung unmittelbar eine Aufgabe mit sehr hohem Konzentrationsfaktor folgt. Diese Art der Aufgabenstellung kann nur bewältigen, wer es versteht, seine geistigen und körperlichen Ressourcen zu organisieren.

Darin liegt der besondere Wert der Missionsschulung und der SanJian-Ausbildung überhaupt. Es geht nicht um die Verherrlichung einer militanten Grundeinstellung zum Leben, sondern um die Möglichkeit, mit Hilfe des kriegerischen Trainings eine besondere Art von Erfahrung zu machen, die es gestattet, als Mensch zu wachsen.

 

 

Nähere Informationen zur SanJian-Kriegerschule unter:

www.san-jian.de

 


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