Trainingsprinzipien des Lei Gong Nei Quan
ein Interview mit Torsten Kanzmeier,
Stilbegründer des Lei Gong Nei Quan
KFSB: Um zu verstehen, wie es zur Ausarbeitung und Entwicklung Ihres
Stils - dem Lei Gong Nei Quan - kam, lassen Sie uns bitte zunächst
über Ihre Ausbildung in den chinesischen Kampfkünsten sprechen.
Wo sehen Sie Ihre Wurzeln?
T.Kanzmeier: Meine Wurzeln liegen zu 100 Prozent im Tan Tien
Tschüan. Ich war über sechszehn Jahre lang einer der engsten
und ersten Schüler von Helmut Barthel, dem Gründer des Tan Tien
Tschüan - Inneres Boxen.
KFSB: Welche Trainingsmethoden und Kampfprinzipien des Tan Tien
Tschüan würden Sie als besonders bedeutsam bezeichnen? Wie kann
man sich diesen Stil vorstellen?
T.Kanzmeier: Die Trainingsmethoden sind absolut pragmatisch und
auf das Erforschen der eigenen effizienteren Körperkoordination ausgelegt.
Im gleichen Sinne sind die Kampfprinzipien kompromißlos, frei von
jeglicher festen Bewegungsform oder konditionierter Technik und ohne jegliche
Distanz zum Gegner.
Dieser Stil arbeitet in seinen Anwendungen als pure Bewegung, absolut
ohne Druckaufbau in sich und ohne Übertragungsdruck auf den Gegner,
ohne Schwünge, insbesondere bei Schlägen, Tritten und Würfen.
Das bedeutet, daß Schläge und Tritte erst am Kontakt beginnen
und sofort übertragen werden. Es gibt kein Telegraphieren. Somit
bewegen sich die Schläge und Tritte in einem Bereich, wo dem Abwehrreflex
der Grund und Boden fehlt.
Schriftzeichen "Dan Tien Quan"/
"Tan Tien Tschüan"
KFSB: Bezieht sich der Name des Stils
auf den Dan Tien-Begriff, der auch aus der chinesischen Medizin
bekannt ist: das Energiefeld in der Mitte des Unterbauchs?
T.Kanzmeier: Dazu zitiere ich einen Artikel aus der Martial Arts
Nr.4: "Jedem Aktiven ist geläufig, daß der Tan Tien in
aller Regel als das Feld ca. drei Finger breit unterhalb des Bauchnabels
im Körper des Menschen lokalisiert wird. Es heißt auch 'das
zinnoberrote Feld' und bedeutet soviel wie 'lebendiger Mittelpunkt'. Das
Zeichen Tan steht hier für Erz (rot) Brunnen (tief), Tien
für parzelliertes Feld (weit)..."
Den Tan Tien als diesen vitalen Mittelpunkt zu interpretieren,
ist eine von vielen Möglichkeiten, diese Zeichen und ihre Aussagekraft
zu benutzen. Ebensogut kann die Verbindung zwischen "tief",
"rot" und "Feld" auch "Herz" oder einfach
"innen" bedeuten. Im Falle des Tan Tien Tschüan lautet
die Übersetzung auch schlicht "Inneres Boxen" - Boxen wie
in vielen anderen chinesischen Kampfkünsten hergeleitet von der gekrümmten
Hand bezie-hungsweise Faust.
KFSB: Sie sagen, daß die Schläge im Tan Tien Tschüan
erst im Kontakt mit dem Gegner beginnen. Bedeutet dies, daß keine
Ausholbewegungen aus-geführt werden? Woher kommt dann die Kraft des
Schlages?
T.Kanzmeier: Richtig, es werden keine Ausholbewegungen für
Schlag oder Tritt im Tan Tien Tschüan durchgeführt. Doch nun
muß ich einlenken: Da das TTT von Helmut Barthel entwickelt wurde
und ich nicht offizieller Vertreter seinen Stiles bin, steht es mir nicht
zu, seinen Stil zu erklären.
Darum lassen Sie uns über meinen Stil reden, über Lei Gong
Nei Quan, den ich, wie ich schon sagte, aus den persönlichen
Lehren vom Begründer des TTT entwickelt habe.
Schriftzeichen "Lei Gong Nei Quan"
Auch die Schläge und Tritte im Lei Gong
Nei Quan haben keine Aushol-bewegungen. Die Übertragung kommt aus
der äußerlich schwunglosen, ver-schleißarmen, unaufwendigen
Bewegung, die durch eine gesamtkörperlich koordinierte Aussteuerung
kleinster Muskelbewegungen ausgeführt wird und bei dem Kontakt zum
Gegner als pure Bewegungsenergie und nicht als Kollision abgegeben wird.
KFSB: Einverstanden, reden wir über das Lei Gong Nei Quan.
Aus welchen Gründen haben Sie sich für die Entwicklung eines
eigenen Stils ent-schlossen?
T.Kanzmeier: Meine Unterrichtsdidaktik unterscheidet sich sehr
von an-deren Stilen. Ich gehe meinen eigenen Weg!
KFSB: Mich würde zunächst die Bedeutung des Namens Ihres
Stils interessieren, da ja der Name eines Stils oft schon etwas vom Konzept
des entsprechenden Systems verrät. Ich schätze Nei Quan
bedeutet "Inneres Boxen", aber was bedeutet Lei Gong?
T.Kanzmeier: Das ist einfach mein Vorname Torsten. Torsten
geht auf Thor zurück. Thor bedeutet Donnergott. Donnergott in die
chinesische Bildsprache übersetzt, heißt Lei Gong. Somit
heißt Lei Gong Nei Quan frei übersetzt Torstens inneres
Boxen.
KFSB: Sozusagen eine Stilbezeichnung mit Copyright-Vermerk... Kommen
wir zu den von Ihnen genannten Schlagtechniken des Lei Gong Nei Quan. Kann
man sich diese Schläge als ein "Aufsetzen und Stoßen"
vorstellen, oder steckt da etwas anderes dahinter? Sie sprechen von gesamtkörperlich
koordinierter Aussteuerung kleinster Muskelbewegungen - können Sie
das genauer erklären, oder muß man es in der Praxis erleben,
um sich davon ein Bild zu machen?
T.Kanzmeier: Ja, es ist nicht einfach dies zu beschreiben. Man
kann es nur umschreiben: Es ist nicht zwingend, daß eine Bewegung
zum Schlag führt, sie kann auch zum Wurf oder zum Griff werden. Entscheidend
ist, daß der Schlag nicht als Kollision (Druck) oder Schub (Druck)
beim Körper-kontakt aufkommt, sondern als drucklose Bewegungsübertragung,
die im Körper zu explodieren scheint. So wie eine Explosion im Körper
fühlt sich dieser Schlag an - sehr schmerzhaft. Bezeichnenderweise
hinterlassen diese Art der Schläge keine typischen blauen Flecke,
da die Wirkung erst unter dem Bindegewebe frei wird.
Die gesamtkörperlich koordinierte Aussteuerung kleinster Muskelbewe-gungen
demonstriere ich immer sehr gerne mit einem Fausstoß in den Bauch
- am liebsten in einen voll durchtrainierten "Sixpack", der
im Grunde jeden mit Kraft und Schwung ausgeführten Schlag oder Stoß
auffängt.
Dazu lege ich meine leicht geöffnete Hand mit der Faustfläche
auf den voll angespannten Bauch, bewege mich dann wie oben umschrieben,
und plötz-lich werden die Bauchmuskeln weich, und ich schlage hinein.
Um es noch mal deutlich zu machen: Durch meine spezielle Körper-koordination
(Körperbewegung) erreiche ich bei dem anderen, daß seine Muskeln
plötzlich gegen seinen Willen erschlaffen. Das ermöglicht es
mir dann, meine Faust sehr tief in seinen Bauch zu bewegen. Auf dieselbe
Weise kann man mit dieser Bewegungstechnik auch ohne Hebel werfen oder
ohne spürbare Kraft Griffe anwenden. Um es wirklich zu verstehen,
kommt man nicht drum herum, es am eigenen Leibe spüren zu müssen.
Ich nenne diese Art von Bewegung auch "innere Bewegung"!
KFSB: Das klingt wirklich sehr interessant. Aus meiner Sicht ergeben
sich daraus zunächst zwei Fragen: Wie funktioniert dieses Weichmachen
der Muskulatur vor dem Schlag, und ist das auch in einer Kampfsituation
einsetzbar, in der man davon ausgehen kann, daß sich der Gegner
nicht die Hand auf den Bauch legen lassen wird?
T.Kanzmeier: Es ist mehr als interessant. Es hat befreiende Wirkungen
auf körperliche und geistige Grenzen, die uns alle mehr oder weniger
ein-schränken.
Ich will versuchen, die erste Frage etwas vereinfacht zu erklären,
auch wenn die wirkliche Technik, die dahinter steckt wesentlich tiefer
liegt. Ich nutze im Prinzip unbewußte Körperreflexe, den "Achtung
Gefahr"- Reflex und den "Keine Gefahr"-Reflex.
Diese Reflexe sind sehr tief verwurzelt und eigentlich fast nicht zu kon-trollieren.
Durch eine unabhängige "innere Bewegung", die für
den anderen zur dominierenden Bewegung wird, entzieht sich die äußere
sichtbare Bewegung dem normalen Wahrnehmungsreflex. Wenn ich nun diesen
beschriebenen Bauchschlag mache, bewege ich mich, nachdem ich äußerlich
auf ihn zugegangen bin und er mit dem "Achtung Gefahr"-Reflex
reagiert hat, wodurch seine Muskeln automatisch hart werden, mit einer
"inneren Bewegung" von dem anderen weg.
Dadurch wird dem Körper nun "Keine Gefahr" signalisiert,
die "Abwehr kann heruntergefahren werden", und die Muskeln werden
weich. Zur gleichen Zeit bewege ich nun meine Faust nach vorne tief in
den weichen Bauch.
Diese Art der Bewegung, auch die "innere" Bewegung, kann man
auch auf Distanz durchführen und anwenden und kommt zu den gleichen
Reflexen. Somit ist quasi die Distanz aufgelöst, und Schläge
mit derselben Wirkung können auch aus dem Nichtkontakt durchgeführt
werden. Wie ich schon sagte, ein Schlag ist eigentlich eine Bewegung bis
sie zum Kontakt kommt.
KFSB: Wie sehen die Trainingsmethoden in Ihrem Stil aus? Üben
Sie viel Tui Shou oder liegen Ihre Schwerpunkte woanders?
T.Kanzmeier: Tui Shou ist für mich sehr wichtig. Das Tui Shou
welches ich unterrichte unterscheidet sich, wie auch vieles andere, sehr
von dem herkömmlichen Tui Shou. Ich lege sehr viel Wert darauf, mit
den Füßen zu arbeiten und den gesamten Körper freier und
beweglicher zu machen. Es ist also freies Tui Shou, wodurch man ein sehr
gutes Körpergefühl bekommt und wesentlich beweglicher wird.
Es geht in der Regel nahtlos in das Erlernen einer nichtgekannten, gleichschwingenden
Gesamtkörperbewegung über, die zum Erlernen anderer Prinzipien
die Basis bildet.
Schriftzeichen "Tui Shou", in der
Übersetzung etwa:
"Schiebende Hände", Näheres dazu HIER
Ein sehr markanter Schwerpunkt ist das Erkennen der eigenen Gewichts-
und Schwungumlastung in der eigenen Körperkoordination und im Kontakt
zu dem Partner beziehungsweise Gegner. Denn es geht darum, diese Gewichts-
und Schwungumlastungen immer mehr und mehr zu reduzieren, um in der Folge
eine ökonomischere, effektivere und verschleißärmere Körperkoordination/
-bewegung zu erlernen.
Dazu gibt es beispielsweise Partnerübungen, wie das zu Boden werfen
ohne Hebel und ohne Kraft. Lastet man dabei sein Gewicht um, ist alles
sofort blockiert. Man sucht nach anderen "inneren" Koordinationswegen,
die einem das Werfen ohne Kraft und Hebel ermöglichen.
... oder die Arbeit mit dem langen Stock, wobei man erlernt, den Stock
ohne Schwung zu bewegen. Man arbeitet quasi mit dem Gewicht des Stockes,
dem der Körper folgt. Ich nenne es auch Stock-Tui Shou. Und auch
eine Tai Chi-Form wird zum Erkennen und Erlernen dieses Verständ-nisses
genutzt.
Dann, was vielleicht am Wichtigsten ist, gehe ich individuell auf jeden
Lernenden in der Weise ein, daß diese Prinzipien körperlich
und geistig schon beim ersten Unterricht in den Bereich Greifbaren gelangen.
KFSB: Im Internet kursieren mehrere spektakuläre Videoclips,
in denen man einige Demonstrationen Ihrer Schlagtechniken betrachten kann.
Glauben Sie, daß es möglich ist, anhand solcher Videoaufnahmen
eine ungefähre Vorstellung von den Prinzipien Ihres Stils zu bekommen,
oder sagen diese Clips Ihrer Meinung nach nicht viel aus? Ich frage das,
um den Lesern, die auf diese Clips gestoßen sind eine Orientierung
zu ermöglichen.
T.Kanzmeier: Das liegt natürlich im Auge des Betrachters.
Doch ich meine, daß man anhand der Reaktion des "Geschlagenen"
- wofür ich mich hier öffentlich sehr bei denen bedanke, die
sich dafür zur Verfügung gestellt haben und zugleich dafür
entschuldige, daß einige Mißverständnisse entstanden
sind - sehr deutlich die schmerzhafte Wirkung dieser Schläge, auch
mit Schlagkissen und Boxhandschuh, sehen kann - gerade dort, wo ich meine
Hand eigentlich nur anlege und dann "schlage".
Um den letztendlichen Beweis für sich selber zu finden, muß
man soetwas selber gespürt haben. So erlebe ich es immer wieder,
denn selbst wenn jemand daneben steht und es an dem anderen sieht, glaubt
man es eigent-lich erst wirklich, wenn man es selber am eigenem Körper
gespürt hat.
Videoclip-Link
zu einer Lei Gong Nei Quan-Demo (Schlagtechnik)
KFSB: Wie kann man mit Ihnen in Kontakt kommen? Führen Sie
Seminare durch, in denen man sich ein genaueres Bild von Ihren Methoden
machen kann?
T.Kanzmeier: Zu erreichen bin ich über meine E-Mail Adresse torsten@inneres-boxen.com
und unter der Telefonnummer 0481/62436. Eine Homepage ist in Arbeit. Sobald
sie im Netz ist, wird sie bekannt gegeben. Ich führe ständig
Seminare durch, die öffentlich in den bekannten KK-Foren gepostet
werden. In Zukunft werde ich im gesamten Raum Deutschland Wochenendseminare
anbieten. So auch in Berlin.
KFSB: Vielen Dank für das Interview!
Website
Lei Gong Nei Quan
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