Kung Fu-Training bei Rückenschmerzen
Teil II

von T.Schlaméus


Qigong-Training bei Rückenschmerzen

Diese Übungen eignen sich für den Kung Fu-Praktiker, der unter akuten Rückenschmerzen leidet. Es versteht sich von selbst, daß die Schmerzen ein Ausmaß nicht überschreiten dürfen, das jede Bewegung unmöglich macht. In den meisten Fällen erreicht man diesen Level trotz anfänglich sehr starker Schmerzen nach ungefähr zwei Tagen.

In den ersten zwei Tagen, wenn die Schmerzen extrem stark sein sollten, tut man gut daran, sich um Ruhe und Entspannung zu bemühen und zwar in geistiger und körperlicher Hinsicht. Im ersten Teil dieses Artikel wurde bereits die entspannende Wirkung von Vollbädern, Wickeln, Einreibungen und Rotlichtbestrahlungen beschrieben. Auch sanfte Massage hilft, die Spannungen der schmerzenden, verhärteten Muskulatur zu lösen.

Sobald man allerdings in der Lage ist, sich einigermaßen zu bewegen, sollte man das auch unbedingt tun und damit wirklich auf keinen Fall länger warten, als unbedingt nötig. Selbstverständlich muß man bei Symptomen wie starken Taubheitsgefühlen (besonders in den Füßen, Beinen, Händen und Armen) oder gar Lähmungen unverzüglich einen Arzt (im Zweifelsfalle auch den Notarzt) hinzuziehen.

Das gesamte Übungsprogramm ist nicht allein für Praktiker geeignet, die akute Probleme mit dem Rücken haben, sondern auch für alle, die ihren Rücken grundlegend stabilisieren wollen, z.B. weil dieser während des Kung Fu-Trainings harten Belastungen ausgesetzt ist.

Es existieren Stile mit einer stark ausgeprägten Komponente intensiver Rumpfrotationen. Diese Stile verfügen traditionellerweise über ein spezielles Wirbelsäulen-Qigong, so wie es hier dargestellt ist, um zu verhindern, daß die Übenden aufgrund der hohen Belastungsintensität für Bandscheiben und Zwischenwirbelgelenke gesundheitliche Schäden erleiden.


Trainingsaufbau - Erster Teil der Übungen, Lockern & Lösen

Wie bereits beschrieben, geht es im ersten Teil der Übungen darum, die Gelenke und Muskeln des Rückens zu lockern und zu lösen, da diese aufgrund der starken Rückenschmerzen unter erhöhter Spannung stehen. Eine solche "Hoch-Spannung" zieht die Gelenke fest, irritiert die Nerven- und Blutgefäße, blockiert den Strom von Qi und Blut.

Da es für den Kung Fu-Übenden wichtig ist, seine Praxis auf die persönlichen Bedingungen abzustimmen, sollte er stets danach streben, Techniken als den sichtbaren Teil eines dahinterstehenden, unsichtbaren Prinzips zu begreifen. Erkennt er das Prinzip, dann wird er von der vorgegebenen Technik unabhängig und kann seine eigenen, ihm angemessenen Techniken entwickeln. So verhält es sich auch hier:

Wenn wir das Prinzip der Übungen aus dem ersten Teil des Rücken-Qigong analysieren, so stellt sich heraus, daß es sich um Techniken handelt, bei denen der Körper (also die Gesamtheit der beteiligten Muskeln, Sehnen und Gelenke) durch eine Reihe von leichten, zügigen Hin- und Her- bzw. Kreisbewegungen gelöst wird. Es geht nicht um ein intensives Einwirken auf die Muskulatur, sondern um ein vorsichtiges Kontrahieren und Entspannen unter leichten Bewegungen.

So kann eine schmerzbedingte Rigidität allmählich gelockert werden, der Bewegungsausschlag ist noch gering, aber bereits diese ersten Längenveränderungen der Muskulatur, die ersten sanften schwingenden Züge an den Gelenkkapseln aktivieren Durchblutung, Erwärmung und Qi-Strom.


Übung#1 Den Oberkörper sanft nach hinten drehen

Der Stand ist ungefähr schulterbreit. Die Arme werden in Schulterhöhe neben dem Körper angewinkelt, die Fäuste weisen nach vorn, dabei zeigt der Faustrücken nach oben und die Ellenbogen weisen nach hinten.

In dieser Position dreht man den Oberkörper leicht und fließend nach hinten rechts (Rotation an der senkrechte Körperachse), als wolle man mit dem rechten Ellenbogen nach hinten stoßen. Dabei nach hinten, über die Stoßrichtung des Ellenbogens hinaus schauen. Dann führt man die gleiche Bewegung in der entgegengesetzten Richtung aus. 20 bis 30 mal wiederholen.

Der gesamte Ablauf erfolgt weich und fließend - keine harten ruckartigen oder stark federnden Bewegungen ausführen. Jeder Muskel, der nicht zur aufrechten Haltung und zur Ausführung der Bewegung gespannt werden muß, soll entspannen. Nicht zuviel Kraft verwenden, ganz sanft beginnen und eine Weile sanft bleiben, erst wenn es keinerlei Schmerzen oder Beschwerden gibt, kann man die Intensität leicht (!) steigern. Trotzdem soll immer deutlich bleiben, daß es sich um eine leichte, sanft schwingende Bewegung handelt, nicht um ein Reißen oder ruckartigen Zerren.

Die Atmung soll tief und ruhig gehalten werden. Bauchatmung üben. Die Gedanken sollten ebenfalls zur Ruhe kommen. Nicht wild herumspekulieren, grübeln oder angestrengt nachdenken. Loslassen. In Gedanken bei den Empfindungen des Körpers sein.


Übung#2 Den Rumpf kreisen

In der Ausgangsstellung steht man in einem schulterbreiten Stand, die Hände stützen die Seiten in Höhe der Hüfte oder den unteren Rücken. Aus dieser Position heraus führt man das Kreisen des Rumpfes aus. Wenn sich das Becken nach vorn, etwas vor den Körper schiebt, dann geht der Oberkörper leicht zurück. Geht das Becken nach hinten, nimmt man den Oberkörper nach vorn. Das gleiche Wechselspiel findet auch seitlich statt.

In jeder Richtung führt man 20 Kreise aus. Sind die Schmerzen zu stark, reduziert man den Kreisdurchmesser. Spürt man allerdings keinerlei Zug an den Muskeln, vergrößert man den Kreis. Die Übung ist in mäßigem Tempo auszuführen.

Für Atmung und Geist gilt das gleiche, wie bei Übung#1: Die Atmung soll tief und ruhig gehalten werden. Bauchatmung üben. Die Gedanken sollten ebenfalls zur Ruhe kommen. Nicht wild herumspekulieren, grübeln oder angestrengt nachdenken. Loslassen. In Gedanken bei den Empfindungen des Körpers sein.


Übung#3 Die Brustwirbelsäule sanft beugen und wieder aufrichten

Die Ausgangsstellung entspricht der Position in der Übung#1. Man beginnt jetzt damit, die angewinkelten Arme sanft und langsam in den Schultergelenken vorwärts zu kreisen. Nachdem dieser Ablauf einige Male geübt wurde, geht man dazu über, die Brustwirbelsäule bei jedem Halbkreis vorwärts zu beugen. Die Kreisbewegung zurück ist vom Aufrichten der Brustwirbelsäule begleitet.

Das Ganze soll ein leichtes Schwingen zwischen Beugung und Aufrichtung der Brustwirbelsäule sein. Nicht mit harten Kräften arbeiten, alle Muskeln sind entspannt, um dem Qi die Möglichkeit des ungehinderten Strömens zu geben. 20 mal ausführen.

Für Atmung und Geist gilt das gleiche wie in den vorigen Übungen: Die Atmung soll tief und ruhig gehalten werden. Bauchatmung üben. Die Gedanken sollten ebenfalls zur Ruhe kommen. Nicht wild herumspekulieren, grübeln oder angestrengt nachdenken. Loslassen. In Gedanken bei den Empfindungen des Körpers sein.


Übung#4 Mit dem Ellenbogen schräg nach vorn stoßen

Der Stand ist ungefähr schulterbreit. Die Arme werden in Schulterhöhe neben dem Körper angewinkelt, die Fäuste weisen nach vorn, dabei zeigt der Faustrücken nach oben und die Ellenbogen weisen nach hinten.

Aus dieser Position heraus führt man mit dem Rumpf eine Kreisbewegung linksherum aus, als wolle man mit dem rechten Ellenbogen nach schräg links vorn stoßen. Danach erfolgt die gleiche Bewegung in der anderen Richtung. Die Ausführung ähnelt der aus Übung#1, geht aber mehr nach vorn und aktiviert die Muskulatur deshalb auch in anderer Weise.

Ansonsten gilt wieder: Der gesamte Ablauf erfolgt weich und fließend - keine harten ruckartigen oder stark federnden Bewegungen ausführen. Jeder Muskel, der nicht zur aufrechten Haltung und zur Ausführung der Bewegung gespannt werden muß, soll entspannen. Nicht zuviel Kraft verwenden, ganz sanft beginnen und eine Weile sanft bleiben, erst wenn es keinerlei Schmerzen oder Beschwerden gibt, kann man die Intensität leicht (!) steigern. Trotzdem soll immer deutlich bleiben, daß es sich um eine leichte, sanft schwingende Bewegung handelt, nicht um ein Reißen oder ruckartigen Zerren. Auf jeder Seite 30mal ausführen.

Die Atmung soll tief und ruhig gehalten werden. Bauchatmung üben. Die Gedanken sollten ebenfalls zur Ruhe kommen. Nicht wild herumspekulieren, grübeln oder angestrengt nachdenken. Loslassen. In Gedanken bei den Empfindungen des Körpers sein.


Übung#5 Das Becken vor und zurück kippen

Der Stand ist ungefähr schulterbreit. Die Hände stützen die Hüften oder den unteren Rücken. Aus dieser Position heraus, kippt man das Becken vor und zurück. Dabei ist wichtig, daß die Bewegungen nur soweit ausgeführt werden, wie das ohne Schmerzen möglich ist. Es geht nicht um das Erreichen des vollen Bewegungsausschlags, sondern um das sanfte Mobilisieren.

Ein weiterer Punkt betrifft das Achten auf die isolierte Beckenbewegung, es ist wichtig, nicht mit dem gesamten Rumpf vor und zurückzuschwingen, sondern die Bewegung nur mit dem Becken auszuführen. 30mal ausführen.

Wieder ist auf die weiche Ausführung, das Entspannen der Muskulatur, die Bauchatmung, die Gedankenstille und das Wahrnehmen der Körperempfindungen zu achten.


Übung#6 Das Becken seitlich kippen

Der Stand ist ungefähr schulterbreit. Die Hände stützen die Hüften oder den unteren Rücken. Aus dieser Position heraus, kippt man das Becken nach links und rechts. Dabei ist wieder wichtig, daß die Bewegungen nur soweit ausgeführt werden, wie das ohne Schmerzen möglich ist. 30mal ausführen.

Wieder ist auf die weiche Ausführung, das Entspannen der Muskulatur, die Bauchatmung, die Gedankenstille und das Wahrnehmen der Körperempfindungen zu achten.


Übung#7 Die Wirbelsäule in sanfter Wellenbewegung schwingen

Die Ausgangsstellung entspricht der Position in der Übung#1. Man beginnt jetzt wie in Übung#3 damit, die angewinkelten Arme sanft und langsam in den Schultergelenken vorwärts zu kreisen. Nachdem dieser Ablauf einige Male geübt wurde, geht man dazu über, den gesamten Rumpf bei jedem Halbkreis vorwärts zu beugen. Die Kreisbewegung zurück ist vom Aufrichten des Rumpfes begleitet.

Das Ganze soll ein leichtes Schwingen zwischen Beugung und Aufrichtung der gesamten Wirbelsäule sein. Nicht mit harten Kräften arbeiten, alle Muskeln sind entspannt, um dem Qi die Möglichkeit des ungehinderten Strömens zu geben. 20 mal ausführen.

Für Atmung und Geist gilt das gleiche wie in den vorigen Übungen: Die Atmung soll tief und ruhig gehalten werden. Bauchatmung üben. Die Gedanken sollten ebenfalls zur Ruhe kommen. Nicht wild herumspekulieren, grübeln oder angestrengt nachdenken. Loslassen. In Gedanken bei den Empfindungen des Körpers sein.


Zweiter Übungsteil - Dehnen von Muskeln und Gelenken

Korrekte Dehnung der Muskulatur führt dazu, daß Blut- und Qi-Zirkulation verstärkt werden. Dabei muß das Dehnen sanft erfolgen - das ist wirklicher von großer Wichtigkeit. Dehnt man zu stark, dann verletzt man einzelne Fasern des Muskels, und dies behindert das Strömen von Qi. Dehnt man allerdings zu schwach, ist die Behandlung nicht effektiv. Eine gute Dehnung fühlt sich angenehm und stimulierend an.

Das Dehnen von Muskeln und Bändern führt zu einer Entspannung dieser Strukturen. Entspannung bedeutet, daß Qi ungehindert zirkulieren kann. Die Zirkulation von Qi wiederum ist wichtig, um die verletzten Strukturen/ Zellen zu heilen.


Übung#1 Mit beiden Händen den Himmel anheben (Shuang Shou Tuo Tian)

Die Übung beginnt aus dem geschlossenen Stand. Man verschränkt die Finger der Hände und führt diese mit den Handflächen nach oben über den Kopf, als wolle man "den Himmel anheben". Dabei streckt man den Körper, ohne sich ins Hohlkreuz zu drücken.

Unter Aufrechterhaltung der Streckung dreht man den Oberkörper nach links und hält die Dehnung einige Sekunden (ca. 5 Sekunden). Anschließend dreht man den Körper nach rechts und hält wieder einige Sekunden. Diesen Ablauf wiederholt zwei weitere Male und kehrt dann zur Mittelstellung zurück.

Die nächste Bewegung entspricht einer Seitneigung des Oberkörpers. Man neigt sich zunächst nach links, hält die Dehnung wieder einige Sekunden, dann neigt man sich nach rechts und hält wieder. Diesen Ablauf wiederholt man zwei weitere Mal und kehrt wieder zur Mittelstellung zurück.

Jetzt läßt man die Hände sinken und beugt sich mit dem Oberkörper langsam vor, so weit, wie es ohne Schmerzen möglich ist. In dieser Position bewegt man nun das Becken nach links und rechts. Dabei ist es wichtig, die Dehnung im Rückenbereich zu spüren.

Während der gesamten Übung sollte man ruhig atmen und einen entspannten Geisteszustand einnehmen. Tatsächlich ist es eine große Hilfe, besonders auf die Atmung und die Bewegung der Atemmuskulatur zu achten, um zu verhindern, daß man sich zu sehr auf den schmerzenden Rücken fixiert.


Übung#2 Die Muskulatur und die Bänder des Nackens lösen

Die Muskeln im Halsbereich neigen dazu, sich zu verspannen. Das ist besonders deshalb problematisch, weil der Hals eine wichtige "Brücke" zwischen Kopf und Rumpf, zwischen Geist und Körper darstellt. Werden die Verspannungen so stark, daß sie Blut- und Nervengefäße irritieren kann es zu ernsthaften gesundheitlichen Störungen kommen.

Die Dehnung der Muskulatur sollte nach folgendem Schema erfolgen: Den Kopf leicht zur Seite (z.B. nach links) neigen und die gegenseitige Schulter (in diesem Falle rechts) nach unten drücken, und die Dehnung für ca 30 Sekunden halten.

In dieser Weise geht man sowohl seitlich, als auch seitlich diagonal vor (indem man z.B. den Kopf nach vorn links neigt und die rechte Schulter nach hinten rechts senkt). Diese Dehnung in jeder Richtung 3 mal ausführen.

Beim Dehnen der Bänder sollte man den Kopf etwas nach vorn strecken und sanft in jede Richtung bewegen: nach links/ rechts und nach links unten/ rechts unten. In jede Richtung 10 mal dehnen. Schließlich sollte aus dieser Position auch ein leichtes Halbkreisen des Kopfes ausgeführt werden. Ungefähr 10 mal wiederholen.

Die genaue Anzahl aller Dehnungen muß jeder Übende selbst herausfinden. Am Anfang empfiehlt es sich, leicht mit wenigen Wiederholungen zu beginnen.

Diese Übungen sind leicht zu erlernen und schnell wirksam. Im dritten Teil dieser Artikelserie werden weitere, komplexere Qigong-Übungen vorgestellt.

 

 

 

Quellen:

Yang, Back Pain - Chinese Qigong for Healing & Prevention

KFSB, 8.8.2005

 

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