Kung Fu-Training bei Rückenschmerzen

von T.Schlaméus


Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit

Schmerzen im Bereich des Rückens sind nicht selten - im Gegenteil, vier von fünf Menschen sind im Laufe ihres Lebens zeitweise davon betroffen, und bei jedem Zweiten kehren Rückenschmerzen regelmäßig zurück. Ungefähr 90 Prozent aller Rückenschmerzen haben eine unklare Diagnose, und genau hier liegt ein entscheidendes Problem: Weder der Betroffene, noch der Behandler wissen häufig, was die eigentliche Ursache der Beschwerden ist.

Nun ist das Beheben eines Problems nicht einfach, wenn man dessen Ursache nicht kennt. Häufig finden also Heilungsmaßnahmen Anwendung, die mit den schmerzbedingenden Faktoren nicht viel zu tun haben. Ein gutes Beispiel dafür sind Operationen. In Deutschland werden jährlich ca. 60.000 Bandscheibenoperationen ausgeführt. Experten schätzen allerdings, daß 30 Prozent der Patienten, die wegen Rückenschmerzen operiert wurden, dort keine ursächlichen Probleme haben.

Der Umgang der Mediziner mit dem Problem Rückenschmerz ist auch in anderer Hinsicht nicht gerade vorbildlich. Viel zu häufig wird einseitig behandelt, z.B. mit Medikamenten, eine Kombination verschiedener Ansätze (Krankengymnastik, Trainingstherapie, kognitiv-verhaltenstherapeutische Arbeit, Muskelrelaxation etc.) fehlt sehr oft. Viel zu selten wird die seelische Komponente der Angelegenheit berücksichtigt.

Das alles bedeutet für den von hartnäckigen Rückenschmerzen Betroffenen, daß es wenig aussichtsreich ist, sich lediglich auf die Hilfe der Ärzte zu verlassen. Er muß selbst aktiv werden.


Die Ursachen von Rückenschmerzen

Die häufigste Ursache von chronischen Rückenschmerzen liegt in der Vernachlässigung der Rückenmuskulatur. Bei Betroffenen, die regelmäßig Kung Fu-Training betreiben, sollte man diese Ursache wohl ausschließen, und in der Tat machen Kung Fu-Übenden eher akute als chronische Rückenschmerzen zu schaffen.

Von den Risikofaktoren, die Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer in seinem Buch aufführt (Erbfaktoren, Geschlecht, Alter, Körpergröße und -umfang, Einseitige Tätigkeiten, Langes Sitzen, Vibration, Arbeitszufriedenheit, Riskante Sportarten, Verletzungen, Schwangerschaft und Geburt, Frühere Rückenprobleme), sind für den Kung Fu-Übenden mit Rückenschmerzen besonders zwei Punkte hervorzuheben: Riskante Sportarten und Verletzungen.

Sportarten, bei denen rasche Drehungen und abrupte Bewegungsabläufe trainiert werden, gelten als risikoreich. Ebenso werden Stürze und Schläge auf den Rücken, die zu Prellungen, Stauchungen oder Zerrungen führen, als gefährlich eingeschätzt. Das bedeutet für den Kung Fu-Übenden, genau in dieser Hinsicht Vorsicht walten zu lassen.

Häufig kommt es zu einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren. So kann ein jahrelanges, intensives Kung Fu-Training in Verbindung mit einer leichten, nicht diagnostizierten Wirbelfehlstellung zu gravierenden Problemen führen. Deshalb ist es wichtig, Warnsignale ernst zu nehmen.


Erste Maßnahme bei Rückenschmerzen: DON´T PANIC!

Die in meinen Augen erste und wichtigste Maßnahme bei akuten, starken Rückenschmerzen ist eine geistige; nämlich, sich nicht beunruhigen zu lassen. Panik führt dazu, daß sich die Muskeln des Körpers in vielen Bereichen anspannen, und das ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was jemand mit Rückenschmerzen brauchen kann.

Der Betroffene sollte sich einige Fakten vor Augen halten:

1. Die meisten Rückenschmerzen (ca 90 Prozent) klingen innerhalb von vier bis sechs Wochen ab. Sie lassen nach, weitgehend unabhängig davon, welche Art der Behandlung gewählt wird.

2. Nur in den allerseltensten Fällen deuten Schmerzen darauf hin, daß der Betroffene davon bedroht ist, gelähmt zu werden.

3. Das Auftauchen von Schmerzen bedeutet nicht, daß man sich nicht mehr bewegen dürfte oder sollte. Im Gegenteil, der Betroffene sollte sich bewegen, auch wenn es weh tut.

4. Es existieren zahlreiche hervorragende Mittel und Maßnahmen, die helfen, akute Schmerzen effizient zu lindern.


Akute Schmerzen lindern - Spannung reduzieren

Wer akute Rückenschmerzen bei sich selbst oder anderen lindern möchte, muß vor allem eine Tatsache verstehen: Nahezu jedes Auftreten von Rückenschmerzen steht in einem Zusammenhang mit muskulären Verspannungen. Diese Verspannungen können Ursache oder Auswirkung (oder beides zugleich) der Rückenschmerzen sein. Ein Muskel dessen Spannung extrem erhöht ist, schmerzt ohnehin schon, aber er irritiert eben auch in der Nähe liegende Strukturen, wie z.B. Bänder und Gelenke.

So kann starker Druck oder Zug, der von verspannten Muskeln auf Bänder und Gelenke ausgeübt wird, die Schmerzsymptome weiter verstärken. Aus diesem Grunde muß ein primäres Ziel der Schmerzbekämpfung darin bestehen, die Verspannungen besonders im Bereich des Rückens, aber auch in anderen betroffenen Arealen (z.B. Nacken) zu lösen.

Dazu eignen sich verschiedene Maßnahmen. Besonders wohltuend und entspannend wirken häufig warme/ heiße Wannenbäder. Sollten die Schmerzen allerdings von einer Entzündung herrühren, dann sind Hitzeanwendungen grundsätzlich ungeeignet und werden vom Betroffenen als unerträglich empfunden. Hier empfehlen westliche Mediziner häufig Eispackungen, um den Schmerz zu betäuben.

Die Traditionelle Chinesische Medizin betrachtet die Anwendung von Kältepackungen grundsätzlich als fragwürdig, wie Dr. Yang in seinem Buch über Qigong und Rückenschmerz ausführt, denn Eis verlangsamt das Strömen von Qi und Blut. Ziel der Anwendung chinesischer Heiler und Ärzte ist aber, die Zirkulation von Qi in der betroffenen, verletzten Struktur zu erhöhen, denn dies führt zu einem Heilungsprozeß.

Kälte veranlaßt die verschiedenen Strukturen des Körpers (z.B. Muskeln und Gewebe), sich zusammenzuziehen. Die Idee der chinesischen Behandlung ist aber, die Strukturen zu lösen, quasi um dem Qi die Möglichkeit zu geben, überall frei hinein-, hindurch- und hinauszuströmen. Eben dieses freie Zirkulieren des Qi ist Voraussetzung dafür, daß sich die verletzten Zellen regenerieren können. Aus diesem Grund kann eine Blockierung des Qi-Fließens durch zusammengezogene und gleichsam erstarrte Körperstrukturen nicht hilfreich für den Heilungsprozeß sein.

Aus der Sicht westlicher Medizin ist dem vielleicht entgegenzusetzen, daß die schmerzstillende (nervenbetäubende) Wirkung von Eisapplikationen (Cryotherapie) nachgewiesen ist. Außerdem stellt sich in der Folge der Anwendung sehr wohl eine Durchblutungssteigerung ein, sichtbar an der Rötung der Haut.

Wie auch immer, neben der Möglichkeit den Körper durch ein Wannenband zu entspannen, existieren weitere zahlreiche Varianten, die mit der Anwendung von Wärme bzw. Hitze operieren. Zu diesen Möglichkeiten gehören heiße, feuchte Wickel bzw. Tücher, die man auf den Rücken legen kann, weiterhin Infrarotlicht-Bestrahlung und das Auftragen von Thermosalben.


Die Wirkung von Qigong-Übungen

Während der Wert von Maßnahmen wie heißes Baden, Wickeln oder Bestrahlen vor allem in der schnellen Hilfe, also dem schnellen Abklingen der Schmerzen besteht, eignen sich Qigong-Übungen dazu, das Problem grundsätzlich anzugehen. Auch hier sind recht schnell schmerzlindernde Effekte zu verzeichnen, selbst wenn die ersten Übungsausführungen als unangenehm empfunden werden können.

Spezielle Qigong-Übungen gegen Rückenschmerzen, wie sie im zweiten Teil dieses Artikels beschrieben werden sollen, erhöhen die Zirkulation von Qi und Blut im Bereich der verletzten Strukturen des Rückens. Dies führt auch zu einer Aktivierung der Nervengeflechte in diesem Bereich und somit zu einer Sensibilisierung. Das bedeutet eben auch, daß im Zuge der ersten Übungen leichte Schmerzen und unangenehme Empfindungen auftreten können. Davon sollte man sich nicht entmutigen lassen.

Die chinesische Theorie der Heilung geht davon aus, daß Kräftigungsübungen für den Rücken nicht praktiziert werden sollten, solange die beteiligten Strukturen (wie z.B. die Zwischenwirbelgelenke) verletzt sind. Übungen, die mit dem Anspannen der Muskulatur arbeiten, können wegen der resultierenden Zug- und Druckwirkungen dazu führen, daß verletzte Strukturen noch stärker beschädigt werden. Außerdem verhindern Übungen, die Muskeln und Sehnen spannen, daß die Qi-Zirkulation bis tief in die beschädigten Bereiche hineinreichen kann.

Aus diesem Grund ist es wichtig zunächst mit Hilfe sanfter Bewegungsübungen zu lernen, wie man die Muskeln und Sehnen entspannen und Streß (durch Zug oder Druck) im verletzten (Gelenk-) Bereich reduzieren kann. Erst wenn sich die verletzten Strukturen regeneriert haben, geht man zu Kräftigungsübungen über.

Die durch gezielte Entspannung und sanfte Bewegung erzielten Effekte, werden außerdem durch bewußte Atmung und Steuerung der Aufmerksamkeit verstärkt. Das Atmen unterstützt die Entspannung der Muskulatur und lenkt Qi in den Körper hinein und wieder heraus. Die Schulung von Achtsamkeit für die inneren energetischen Prozesse hilft dem Übenden selbständig Blockaden zu erspüren und die entsprechenden Gegenmaßnahmen zu ergreifen.


Die Praxis von Qigong gegen Rückenschmerz

Der Erfolg der Übungen hängt in erster Linie nicht von den Techniken ab, die man einsetzt, denn wie wir sehen werden, gibt es verschiedene Möglichkeiten, um ein individuelles "Rücken-Qigong" zu entwickeln. Der Erfolg, d.h. also die dauerhafte Überwindung der Schmerzen und das Verhindern ihrer Wiederkehr hängt von der Fähigkeit zur Selbstkontrolle ab, also von Faktoren wie Übungswille, Geduld und Ausdauer.

Da sich der vollständige Heilungsprozeß über Wochen und sogar Monate erstrecken kann, ist es leicht, die Geduld zu verlieren und die Bequemlichkeit siegen zu lassen. Der Übende muß sich dazu überwinden, jeden Tag ein bis zweimal seine Übungen zu machen, anderenfalls wird der Erfolg auf lange Sicht ausbleiben.

Das von Dr.Yang vorgeschlagene Heil-Qigong-Übungssystem zur Regulation des Qi-Flusses im Rückenbereich beinhaltet vier Trainingsbereiche, die jeweils spezielle Zielsetzungen aufweisen:

1. Lockern und Lösen der Gelenke im Bereich der Wirbelsäule
2. Sanftes Dehnen der Gelenke und der sonstigen beteiligten Strukturen
3. Sanftes, gelenkgerechtes Bewegen
4. Lösen der Gelenke, um Qi auszuleiten

Das Lockern und Lösen der Gelenke beabsichtigt, steife und verfestigte Gelenke für die weiteren Übungen vorzubereiten. Gerade der vom Rückenschmerz Geplagte klagt häufig über Steifigkeit, weil der Schmerz den Muskeltonus erhöht und auf diese Weise die Gelenke "festzieht". Übungen der ersten Kategorie sorgen hier also dafür, daß sich die blockierten Gelenke bewegen, Qi und Blut beginnen die beübten Bereiche zu durchströmen, die Strukturen und Gewebe erwärmen und entspannen sich.

Nachdem diese Vorbereitungen abgeschlossen sind, wird im zweiten Teil des Übungssystems durch sanftes Dehnen der Gelenke dafür gesorgt, daß die Öffnung der artikulierenden Segmente das Einfließen und quasi Spülen von Qi und Blut im Gelenk ermöglicht. Das Gelenk wird hier gewissermaßen "gelüftet".

Danach werden bei entspannter Muskulatur sanfte, gelenkgerechte Bewegungen ausgeführt, die zum Ziel haben, die Kapselstrukturen der Gelenke (Bänder) zu trainieren. Das sanfte Bewegen/ Beüben der Bänder führt zu Stoffwechselprozessen, die helfen beschädigte Zellstrukturen zu regenerieren. Das Qi-Strömen in diesen Bereichen setzt Heilungsprozesse in Gang.

Schließlich wird im vierten Abschnitt Qi von den verletzten Strukturen fort- und über Arme/ Beine ausgeleitet. Man kann sich dies so vorstellen, wie das Ausatmen verbrauchter Luft. Findet das Ausleiten verbrauchter Energie nicht statt, stagniert also das Qi, dann kann kein frisches Qi zur Zellerneuerung bis zu den verletzten Arealen gelangen.


Qigong-Kräftigungsübungen

Ein letzter Bereich, der zum Heilungsprogramm gehört, befaßt sich mit Kräftigungsübungen, die darauf abzielen, die Muskulatur zu stärken, um auf diese Weise die Gelenke zu entlasten. Eine optimal arbeitende Rückenmuskulatur stützt nämlich die Gelenk- und Knochensegmente und federt Belastungsspitzen ab. Aus diesem Grunde ist eine gut trainierte Rückenmuskulatur wichtig, um Rückenschmerzen dauerhaft zu bekämpfen.

Wie bereits beschrieben, sollten diese Übungen allerdings erst dann absolviert werden, wenn sich die Gelenke regeneriert haben. Deshalb eignen sich derartige Übungen primär für Personen, die nicht mehr unter Schmerzen leiden.



Quellen:

Grönemeyer, Mein Rückenbuch - Das sanfte Programm zwischen High Tech und Naturheilkunde
Yang, Back Pain - Chinese Qigong for Healing & Prevention

KFSB, 10.7.2005

 

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